Ständige Wissenschaftliche Kommission

SWK sieht weiteren Handlungsbedarf bei Digitalisierung des Bildungssystems

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) gibt in ihrem Gutachten Digitalisierung im Bildungssystem Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission hat heute (19.09.2022) gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) ihr Gutachten Digitalisierung im Bildungssystem vorgestellt. Darin macht sie einen großen Handlungsbedarf aus bei der Anpassung von Bildungsinhalten, der Entwicklung forschungsbasierter Lernmaterialien in nachhaltigen Strukturen sowie der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften. In dem Gutachten empfiehlt die Kommission Maßnahmen für Kita, Schule, berufliche Bildung, Lehrkräftebildung und Hochschulbildung. Als Voraussetzung für deren Umsetzung betont sie den Stellenwert einer leistungsfähigen und verlässlichen digitalen Infrastruktur und eines rechtlichen Rahmens.

„Um das Bildungssystem in unserer digitalisierten Welt weiterzuentwickeln, sind trotz aller Fortschritte auch weiterhin enorme Kraftanstrengungen nötig. Gerade deshalb sollte sich die Bildungspolitik auf allen Ebenen auf einen langfristigen, gemeinsamen Entwicklungsplan einigen und Etappenziele festlegen“, fasst Prof. Dr. Olaf Köller, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaft und Mathematik (IPN) und Co-Vorsitzender der SWK, die Empfehlungen zusammen.

Karin Prien, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein: „Wir danken der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission für ihre systematische Aufarbeitung des Themas Digitalisierung im Bildungssystem für alle Bildungsphasen. Das Gutachten fokussiert die in allen Lebensbereichen bestehenden Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für den Bildungsbereich klar und bietet mit den 14 Handlungsempfehlungen interessante Impulse für die weitere politische Umsetzung, die wir nun intensiv diskutieren müssen. Es freut mich sehr, dass das Gutachten die KMK-Empfehlungen von 2016 und 2021 als richtungsweisend für das Thema Digitalisierung im Bildungssystem ansieht. Die in den letzten Jahren – durch die Corona-Pandemie beschleunigten – Anstrengungen der Länder gilt es nun mit Hilfe des Gutachtens zu prüfen und weiter voranzubringen. Wie die Kommission sind wir auch der Überzeugung, dass die Digitalisierung ein sehr zentraler, zugleich aber auch langer Prozess der Weiterentwicklung des Bildungssystems in allen Bildungsetappen sein wird. Ganz besonders hervorheben möchte ich, dass Digitalisierung erstmals systematisch mit Beginn der frühkindlichen Bildung betrachtet wird. Nicht erst durch die Erkenntnisse aus diesem Gutachten wird deutlich, dass wir zukünftig eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen frühkindlicher und schulischer Bildung benötigen und das auch neue Formen der Zusammenarbeit von Kita bis Hochschule erfordert.“

Bildungsinhalte verändern: digitale Kompetenzen und Pflichtfach Informatik

In ihrem Gutachten kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Vermittlung digitaler Kompetenzen und Informatikinhalte noch nicht ausreichend in den Bildungsplänen verankert sind. Für den frühkindlichen Bereich empfiehlt die SWK, digitale Bildung verpflichtend in die Bildungspläne aller Länder aufzunehmen. So gibt es Belege, dass der Einsatz von Apps in den einzelnen Bildungsbereichen lernförderlich ist, z. B. für dialogisches Vorlesen oder digitale Mikroskope im naturwissenschaftlichen Bereich, wenn sie didaktisch sinnvoll eingesetzt werden. In der Grundschule sollten Informatikinhalte, etwa die Funktionsweise von Robotern, im Sachunterricht vorkommen. Ab der fünften Klasse schlägt die Kommission Informatik als Pflichtfach in allen Ländern ab dem Schuljahr 2024/25 vor. Die berufliche Bildung sollte angehende Fachkräfte in allen Berufen stärker dafür ausbilden, technologische Entwicklungen zu durchschauen und entsprechend zu handeln. Dafür sollten enge Berufszuschneidungen aufgelöst werden. Auch für den so genannten Übergangssektor, der auf eine spätere Ausbildung vorbereitet, rät die Kommission, die Vermittlung digitaler Kompetenzen so zu verankern, dass die Bildungsgänge anschlussfähig sind für die reguläre Berufsausbildung.

Forschungsbasierte Lernmaterialien entwickeln, dauerhafte Strukturen schaffen

Weiterhin empfiehlt die SWK die dauerhafte Einrichtung bzw. den Ausbau länderübergreifender Strukturen in Form von Zentren für digitale Bildung (ZdB). Sie sollen Material für unterschiedliche Schulformen und -stufen entwickeln, bereitstellen, Schulen bei deren Einsatz begleiten und die Länder bei der Entwicklung und Implementierung von Fortbildungsprogrammen für Lehrkräfte unterstützen. Für die berufliche Bildung und die Hochschulen sollten länderübergreifende Strukturen diese Aufgabe ebenfalls stärker übernehmen. „Es kann nicht sein, dass jede einzelne Lehrkraft oder jeder einzelne Dozierende Materialien erstellen und didaktische Fragen ebenso berücksichtigen muss wie Fragen des Datenschutzes und der Urheberrechte. Sie sollten auf geprüfte und didaktisch sinnvolle Materialien zugreifen können“, fordert Prof. Dr. Ulrike Cress, Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM), Mitglied der SWK und AG-Vorsitzende für das Gutachten.

Professionalisierung des Bildungspersonals

„Im Feld der Digitalisierung hat die Professionalisierung des Bildungspersonals unter den Bedingungen des Fachkräftemangels einen herausragenden Stellenwert. Die Empfehlungen der Kommission zielen drauf, zentrale digitalisierungsbezogene Inhalte verbindlich in der Aus- und Fortbildung zu verankern und gleichzeitig konkrete Fortbildungsprogramme und -maßnahmen zu verstetigen bzw. aufzulegen“, erklärt Olaf Köller weiter.

So rät die SWK den Ländern, einen gemeinsamen Referenzrahmen für die Lehrkräftebildung zu entwickeln und umzusetzen. Dieser sollte festlegen, welche Inhalte, z. B. digitale Bildung und Informatik, aber auch welche Querschnittsthemen, wie Schulentwicklung und Heterogenität, im Studium, im Referendariat und in der Fortbildung vermittelt werden müssen. Um den Bedarf an Informatiklehrkräften zu decken, empfiehlt die SWK das Einfach-Lehramt für Informatik einzuführen und weitere Qualifikationsprogramme für Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger. An den Hochschulen müssten Dozierende durch technischen und fachdidaktischen Support unterstützt werden. „Gute digital unterstützte Lehre aktiviert Studierende und kann weit mehr als das, was in den Coronasemestern praktiziert wurde“, so Ulrike Cress.

Ties Rabe, A-Länderkoordinator und Hamburgs Senator für Schule und Berufsbildung: „Die Ständige Wissenschaftliche Kommission gibt mit diesem Gutachten wichtige und konkrete Handlungsempfehlungen. Dazu zählt insbesondere der Vorschlag, in allen Bundesländern in der Mittelstufe das Schulfach Informatik einzuführen. Ich finde diesen Vorschlag sinnvoll. Es ist allerdings ein umfangreiches Unterfangen, bedeutet es doch, dass in anderen Schulfächern Stunden gestrichen werden müssen, um Informatik zu ermöglichen. Zudem müssen wir zusätzliche Lehrkräfte gewinnen, neue Bildungspläne und Unterrichtsmaterial entwickeln. Aber dennoch wird hier sehr klar, dass wir wesentlich stärker als bisher die informatische Grundbildung in der Schule verankern müssen. Deshalb ist es ein wichtiger und kluger Vorschlag.”

Prof. Dr. R. Alexander Lorz, B-Länderkoordinator und Hessischer Kultusminister: „Die Notwendigkeit, in unseren Anstrengungen für die Weiterentwicklung der digitalen Unterrichts-angebote nicht nachzulassen, ist uns in den Ländern sehr bewusst. Digitalisierung betrifft aus unserer Perspektive alle Fächer – auch wenn ein Leitfach hier Gutes leisten kann. Bei neuen Unterrichtsinhalten und -angeboten stellt sich aber stets die Frage, auf welche anderen wir stattdessen verzichten können. Hier erhoffen wir uns ebenso Hinweise und Empfehlungen der Wissenschaft, da man nicht alles, was Schule künftig leisten soll, immer noch obendrauf packen kann.“

Die Empfehlungen auf einen Blick

Empfehlungen für die frühe Bildung in der Kita

1. Digitale Medienbildung als Bildungsziel in die Rahmen- und Orientierungspläne aufnehmen

2. Infrastruktur schaffen und Lehr-Lernmaterialien zur Verfügung stellen

3. Aus- und Weiterbildung des frühpädagogischen Bildungspersonals

Empfehlungen für allgemeinbildende Schulen

4. Dauerhafte Einrichtung länderübergreifender Zentren für digitale Bildung (ZdB)

5. Einführung eines (Pflicht-)Faches Informatik und entsprechender Lehrkräfteausbildung in allen Ländern

Empfehlungen für die berufliche Bildung

6. Modernisierung der Bildungsziele und Curricula

7. Weiterentwicklung des Prüfungswesens

8. Stärkung der Wissenschaftsorientierung durch den Aufbau einer Struktur aus Clearing, Transfer und Leading Houses

Empfehlungen für die Lehrkräftebildung

9. Implementation digitalisierungsbezogener Inhalte und mediendidaktischer Inhalte sowie informatischer Grundlagen in der Lehrkräftebildung

10. Strukturelle Weiterentwicklung der hochschulischen Lehrkräfteausbildung

11. Strukturelle Stärkung der Lehrkräftefortbildung und eine stärker wissenschaftsorientierte Ausrichtung

Empfehlungen für die Hochschulbildung

12. Stärkung digitaler Kompetenzen bei Studierenden und Dozierenden

13. Technische, räumliche, fachdidaktische und rechtliche Strukturen aufbauen und verstetigen

14. Standortspezifische und hochschulübergreifende Lehr- und Digitalisierungsstrategien entwickeln